Aus der Zeit gefallen!?

Ein Plädoyer für den Gregorianischen Choral

anlässlich 20 Jahre Schola Mediolacensis

Eine feierliche Messe,

kunstvolles liturgisches Gerät, ansprechende Paramente, doch dann blitzt sie am Arm des Zelebranten hervor: Die Uhr. Man ist versucht ihm das Wort „Leg ab!“, das Mose in Bezug auf seine Schuhe vom Herrn vernommen hat (vgl. Ex 3,5), entgegenzurufen, denn der Ort wo du stehst, das Geheimnis, das du feierst, ist nicht messbar, es übersteigt die Zeitrechnung. Schon Thomas von Aquin deutet im bekannten eucharistischen Hymnus Adoro te devote dieses große Geheimnis, das die Fähigkeiten des menschlichen Erkennens übersteigt: „visus, tactus, gustus in te fallitur“.

Vergangenheit wird in der Liturgie Gegenwart, denn in die Stunde des Abendmahlssaals „kehrt in geistlicher Weise jeder Priester zurück, der die heilige Messe feiert, und mit ihm die christliche Gemeinde, die daran teilnimmt“[1]. Die Eucharistie ein Geschehen, das Raum und Zeit übersteigt. Sie stiftet „eine geheimnisvolle Gleichzeitigkeit“[2] zwischen der Einsetzungsstunde und dem Gang aller Jahrhunderte, bis Christus in Herrlichkeit wiederkehrt (vgl. 1 Kor 11,26). Die Synchronität, die Offenheit zur rückwärtigen Besinnung und vorwärts gerichteten Gestaltung, Erinnerung und Ausblick, Gedächtnis und der immer wiederkehrende Impuls des Schöpferischen, sind der liturgischen Feier immanent. Was von der Liturgie gesagt werden kann, muss freilich auch für „den der römischen Liturgie eigenen Gesang“ (SC 116), nämlich den Gregorianischen Choral, statuiert werden können.

Doch häufig wird dem Gregorianischen Choral ein Anachronismus angedichtet, als würde er im musikalischen Gewand ein Liturgieverständnis von vorgestern konservieren. Tatsächlich hat der Gregorianische Choral in der Katholischen Kirche eine Sonderstellung primär aufgrund seines Alters. Doch konnte das Traditionsargument den Rückzug desselben in Phasen intensiver Liturgiereform nicht aufhalten. Gregorianik ist demnach zwar alt, aber letztlich doch nur eine mögliche Form der Ausprägung der Musica sacra und dem Prinzip der stilistischen Vielfalt unterworfen.[3] Der eigentliche Grund seines „Überlebens“ und seiner bemerkenswerten Restauration auch und gerade im 20. Jahrhundert muss folglich tiefer liegen, denn er ist ja nicht bloß eine altehrwürdige Sammlung liturgisch brauchbarer Stücke. Was gibt also dem Choral seine eigentliche spirituelle Kraft, die scheinbar keine Abnutzungserscheinungen kennt? Drei Punkte sind ausschlaggebend:

 

(1) Der Gregorianische Choral ist erklingendes Wort Gottes

Im Grunde ist Gregorianik nichts anderes als eine in Musik gekleidete Sammlung von Worten der Heiligen Schrift. Die Wortbezogenheit[4] scheint ausschlaggebend für die Bedeutung der Gregorianischen Gesänge zu sein. Es kommt dabei nicht darauf an, das Wort Gottes als linguistische Kategorie zu verstehen, sondern als „umfassende existentielle religiöse Beschreibungsform“[5]. Das Wort wird in diesem umfassenden Sinn nicht da laut, wo geredet wird, sondern dort, wo Christus erfahren wird.[6] Die Kundgabe der Gotteserfahrung aus den Zeiten der Bibel aktualisiert sich auch dort, wo diese Gesänge erklingen. Sie lassen die Gläubigen aller Generationen teilhaben am Wort Gottes, das Jesus Christus selbst ist. Eine Choralrestauration, wie sie in den letzten Jahrzehnten erlebbar wird, gibt dieser Musik den Primat des Wortes Gottes zurück. Die Vertonung des Chorals resultiert aus der Betonung des biblischen Textes. Gregorianischen Choral zu singen erfordert daher die Bereitschaft, tiefer in das Verständnis des Wortes Gottes einzudringen um von dorther die musikalische Form zu erschließen. Der biblische Text war von Anfang an Grundlage und Voraussetzung aller musikalischen Gestaltung - und das soll von neuem die Grundlage werden. Gerade in der Liturgie nach dem II. Vatikanum, das den Tisch des Wortes reicher gedeckt wissen wollte, können die Gregorianischen Gesänge zu einem vertieften Verständnis der Vollzüge verhelfen. Dass die große Bedeutung des Gregorianischen Chorals für die Liturgie der Kirche aus seiner engen Bindung an den biblischen Text resultiert, schlussfolgert auch Papst Benedikt XVI. im Apostolischen Schreiben Verbum Domini über das Wort Gottes:

„Im Rahmen der Bemühungen, das Wort Gottes in der liturgischen Feier besser zur Geltung zu bringen, sollte auch der Gesang in den vom jeweiligen Ritus vorgesehenen Augenblicken berücksichtigt werden. Dabei bevorzuge man Gesänge, die ganz klar biblisch inspiriert sind und durch die harmonische Übereinstimmung von Text und Musik die Schönheit des göttlichen Wortes zum Ausdruck bringen. In diesem Sinne ist es gut, jene Gesänge zu verwenden, die wir der Überlieferung der Kirche verdanken und die diesem Kriterium entsprechen. Ich denke insbesondere an den Gregorianischen Choral“.[7]

 

(2) Der Gregorianische Choral bewahrt Natürlichkeit  

Da die Gregorianischen Gesänge einstimmig und ohne Begleitung von Instrumenten ausgeführt werden, lassen sich die Parameter auf eine einfache Sentenz zusammenführen: Die menschliche Stimme besingt das Wort Gottes. Schlichter und einfacher kann das musikalische Mittel der Wortverkündigung kaum sein. Die menschliche Stimme, in erster Linie manifestiert im Gesang, ist das Maß aller Musik im Gottesdienst. Als notwendigen und integrierenden Bestandteil der feierlichen Liturgie qualifiziert SC 112 den mit dem Wort verbundenen gottesdienstlichen Gesang. Medium des Gesanges ist die menschliche Stimme. Martin Luther bezeichnete einst die Stimme als „Seele des Wortes“, nicht zuletzt auch deshalb, weil die Glaubensüberlieferung, v.a. der ersten Generationen des Christentums, eine mündliche war. Diese Keimzellen, Stimme und Melodie, haben eine starke Ausdruckskraft und eine hohe Strapazierfähigkeit. Deshalb ist das Repertoire der Gregorianischen Gesänge keiner modischen Strömung erlegen und auch nicht an eine bestimmte Form der Zelebration gebunden. Natürlichkeit bedeutet aber nicht Oberflächlichkeit. Die Vorrangstellung, die die Konzilsväter des II. Vatikanum dem Choral angedeihen ließen, ist an eine künstlerisch und pastoral angemessene Ausführung gebunden.[8] Insofern leistet die Gregorianik eine Harmonie zwischen dem theologischen Anspruch an die gottesdienstliche Musik und dem natürlichen Drang nach künstlerischen Ausdruck.

 

(3) Der Gregorianische Choral ist integrativ und universell  

Diese Eigenschaft besitzt er vor allem wegen der lateinischen Kultsprache. Auch wenn diese Sprache nicht im linguistischen Sinn vom Rezipienten verstanden wird, so kann doch ein Verstehen „par coeur“ gelingen, in dem die Texte im Zusammenhang mit gewissen Melodien erlernt und identifiziert werden können. Ein Introitus kann dann denselben Wiedererkennungswert haben, wie ein deutsches Kirchenlied und das lateinische Credo dasselbe Identifikationspotenzial wie das Glaubensbekenntnis in der Muttersprache. Der Gregorianische Choral ist keine Spartenmusik für besondere Gruppen oder Ereignisse, sondern er ist integrativer Bestandteil gottesdienstlicher Musik; er gehört wesentlich zur Vollgestalt der Liturgie dazu. Wie alle gottesdienstliche Musik dient er dem Ziel, die Ehre Gottes und der Auferbauung der Gläubigen zu fördern. Er unterbindet nicht die Musik der Völker in ihrer Eigenart (vgl. SC 119), sondern schließt sie zu einer Einheit zusammen, über Sprach- und Landesgrenzen hinweg.   

 

Aufgrund der ausgeführten Eigenschaften ist die Gregorianik auch in der gegenwärtigen Zeit als Keimzelle katholischer Kirchenmusik und festes Medium der Glaubensweitergabe zu profilieren. Sie ist eben nicht Ausdruck eines restaurativen Bewahrens, sondern eine einzigartige Form des Erklingens des Wortes Gottes inmitten seiner Kirche durch alle Zeiten. Er ist im guten Sinn des Wortes „aus der Zeit gefallen“.

 


[1] Johannes Paul II.: Ecclesia de Eucharistia.

[2] Ebd.

[3] Gerhards/Kranemann: Liturgiewissenschaft. 246.

[4] Ebd. 246.

[5] Meyer-Blanck: Liturgische Ämter. 19.

[6] Ebd. 19.

[7] Benedikt XVI.: Verbum Domini. Nr. 70.

[8] Prassl: Gregorianik in der heutigen Liturgie. 145.

 

Der gottesdienstliche Gemeindegesang –

Zeichen und Ausdruck kirchlicher Gemeinschaft

Ein Impuls zur  Fastenzeit

In jedem Jahr lädt uns die österliche Bußzeit zum Verzicht ein. Eine bewusste Reduktion und Konzentration auf Wesentliches, die wir im persönlichen Glaubensleben einüben, kennt auch die Liturgie der Kirche. Sie lädt die Gläubigen ein, intensiver und bewusster an der Feier der Sakramente teilzunehmen. Die gottesdienstliche Musik unterstützt dieses Anliegen, in dem die künstlerischen Ausdrucksformen, v.a. das Instrumentenspiel, auf ein Minimum reduziert werden. Die Grundordnung des römischen Messbuchs empfiehlt das Orgelspiel sogar nur zur Begleitung der Gesänge (GORM 313).

Im Verzicht auf die künstlerische Musik tritt das ureigene Element liturgischer Musik in den Vordergrund: Die menschliche Stimme. Sie manifestiert sich im Gemeindegesang und im Kantorengesang. Während wir Kirchenmusiker uns bemühen, einen qualitätvollen Vorsängerdienst zu gewährleisten, ist leider hörbar geworden, dass der Gemeindegesang in unseren Gottesdiensten immer mehr abnimmt. Gesellschaftliche Begleiterscheinungen, wie die fehlende Singpraxis in Schule und Elternhaus, noch latente Coronabedenken und die stetig sinkende Zahl der Gottesdienstbesucher verstärken diesen Negativtrend.

Dabei hält das II. Vatikanische Konzil unmissverständlich fest, dass der gottesdienstliche Gesang einen „notwendigen und integralen Bestandteil der feierlichen Liturgie“ darstellt (SC 112), da das Volk Gottes singend seine Identität darstellt. Durch Singen wird die Kirche als Communio, als Gemeinschaft Gleichwürdiger, auferbaut und bestärkt. Die singende Gemeinde ist auf ganz besondere Weise Kirche: Der einzelne Mensch artikuliert sich und erfährt sich zugleich als Teil der Gemeinschaft.

Und wenn sie wirklich glauben, dass sie nicht singen können: Nehmen sie ein Gotteslob zur Hand, vollziehen sie die Liedtexte betend mit und reihen sich so in die Gemeinschaft ein.

Vielleicht gelingt es uns, den Gesang als große Chance der tätigen Teilnahme am Gottesdienst wiederzuentdecken und in der Konzentration auf ihn in der nüchternen Fastenzeit auch das künstlerische Orgelspiel, v.a. nach dem Gottesdienst, wieder wertzuschätzen.

 

Die letzte Konzentration

Eine Anmerkung

zum Liturgieverständnis Joseph Ratzingers/Benedikts XVI.

Als am Silvestertag des vergangenen Jahres Papst em. Benedikt XVI. sein Leben in die Hände des Schöpfers zurückgab, wurde schnell bekannt, was seine letzten Worte in dieser Welt waren. Nach einem langen Leben in akademischer Lehre und bischöflicher Hirtensorge, das durchzogen ist von unzähligen Akten der Schriftauslegung und der Abfassung bedeutender theologischer Werke, war es auf dem Sterbebett ein schlichtes Wort: „Signore ti amo“.

Diese Begebenheit ist wie ein Desiderat seines ganzen Lebens. Joseph Ratzinger, der Gelehrte auf dem Stuhl Petri, hatte die Fähigkeit, komplexe theologische Sachverhalte in ihrer ganzen breite und tiefe zu durchdringen, sie aber immer wieder auf einen inneren Wesenskern zurückführen zu können. Entfaltung und Konzentration kann als Leitlinie seines Denkens gelten. Diesen beiden Polen kann auch im Hinblick auf sein Verständnis von Liturgie nachgespürt werden. Die Kritiker sahen in den Zelebrationen Papst Benedikts meist nur die äußere liturgische Prachtentfaltung, das Wiedererscheinen von Brokat und Damast, goldener Ferula und Fanone. Folgende Zeilen des Liturgiewissenschaftlers Albert Gerhards sind beispielgebend:

„Im Lauf des Pontifikats von Papst Benedikt XVI. hatte man sich längst wieder an einen kurialen Stil gewöhnt, der ohne Brokat, Spitzen, Hermelinpelzchen und Schabraken nicht zu denken ist. Schon seit Beginn des langen Pontifikats seines Vorgängers Johannes Paul II. tauchte manches von dem, was in den sechziger und siebziger Jahren verschwunden war, aus der Mottenkiste der Geschichte wieder auf“.

Und der Journalist Daniel Deckers attestiert in seiner Biographie über Papst Franziskus:

„Das leicht Schwüle der Ära Benedikt, in der sich manche an Spitzenrochetts und anderen femininen Accessoires nicht genug ergötzen konnten, ist vorbei“.

Jenseits solch plakativer Beurteilungen, die Papst Benedikt als Anachronisten und geistlichen Restaurator barocker Paramente erscheinen lassen, übersahen die scharfzüngigen Kritiker aber den wesentlichen Punkt der theologischen Konzentration, das synchrone Element, nämlich die Hingabe Joseph Ratzingers/Benedikts XVI. in die Vorgaben liturgischer Rechtsetzungen, wie sie das II. Vatikanische Konzil für die Liturgie der Kirche statuiert hat und die er in Folge des Konzils in Wort und Tat authentisch zu entfalten suchte. Das liturgische Verständnis Joseph Ratzingers/Benedikts XVI. ist unter den Maßgaben der Liturgiekonstitution Sacrosanctum Concilium darauf ausgerichtet, in der Vielgestaltigkeit liturgischen Handelns zu einer Mitte hinzuführen: Zur Begegnung mit dem lebendigen Gott, denn schon „am Anfang des Christseins steht nicht ein ethischer Entschluss oder eine große Idee, sondern die Begegnung mit einem Ereignis, mit einer Person, die unserem Leben einen neuen Horizont und damit seine entscheidende Richtung gibt“ (Deus caritas est, 1). Zahlreiche liturgietheologische Texte aus seiner Feder deuten diesen Kernpunkt aus.

Die äußere „edle Schönheit/nobilis pulchritudo“ (SC 124) entfaltet sinnenfällig die den liturgischen Handlungen innewohnende „edle Einfachheit/nobilis simplicitas“ (SC 34). Beides sind die Brennpunkte der Ellipse, auf deren Umlaufbahn sich liturgisches Agieren vollzieht. Das spannungsvolle Verhältnis von simplicitas und pulchritudo kann nicht zu einer Seite hin aufgelöst werden, sonst gerät die Liturgie aus dem Gleichgewicht. Das Postulat der Einfachheit darf nicht mit Gestaltlosigkeit verwechselt werden und die Schönheit ist nicht Pomp und Tand, sondern Ausfluss „aller Formen wahrer Kunst“ (SC 112). Diese Erkenntnis kommentiert  Joseph Ratzinger:

„Die Liturgie ist für alle da. Sie muss ‚katholisch‘, d.h. kommunikabel für alle Glaubenden ohne Unterschied des Ortes, der Herkunft, der Bildung sein. Sie muss daher ‚einfach‘ sein. Aber das Einfache ist nicht das Billige. Es gibt die Einfachheit des Banalen, und es gibt die Einfachheit, die Ausdruck der Reife ist. In der Kirche kann es nur um diese zweite, die wahre Einfachheit gehen. Die höchste Anstrengung des Geistes, die höchste Reinigung, die höchste Reife, bringt die wahre Einfachheit hervor. Die Forderung nach dem Einfachen ist, recht gesehen, mit der Forderung nach dem Reinen und dem Reifen identisch, das es gewiss auf vielen Stufen, aber nie auf dem Weg der seelischen Anspruchslosigkeit geben kann“.

Ein letzter Blick auf die Totenbahre des Papa emerito: Keine Brokatkasel sondern ein schlichtes rotes Messgewand, von ihm getragen beim Weltjugendtag in Sydney, „wer es fassen kann, der fasse es!“ (Mt 19,12).

Zum Tod von Papa em. Benedikt XVI:

Der „Mozart der Theologie“ –

Eine musiktheologische Würdigung Benedikts XVI.

Die christliche Musik des Abendlandes war für Papa emeritus Benedikt XVI. geradezu ein Wahrheitsbeweis des Christentums, ein lebendiger Beweis des Glaubens, der weit über die Kraft von Vernunftargumenten hinausgeht, ein hörbarer Ausdruck „einer weit gewordenen Ratio, in der Vernunft und Herz sich miteinander berühren“.

Papst Benedikts theologische Beschäftigung mit der Kirchenmusik war tief in seinem Verständnis der Liturgie verwurzelt. Aus seinem mannigfachen Nachdenken über Form und Gestalt des Gottesdienstes erwachsen die Kriterien einer Theologie der Kirchenmusik. Schon in einem Aufsatz Zur theologischen Grundlegung der Kirchenmusik aus dem Jahre 1974 attestiert Joseph Ratzinger zwei Folgen des II. Vatikanischen Konzils für die Feier der Liturgie: (1) Der Rückzug ins Brauchbare hat die Liturgie nicht offener, nur ärmer gemacht und (2) die nötige Einfachheit ist durch Verarmung nicht herzustellen. So hat auch die Einführung einer Art Gebrauchsmusik unter dem Diktum der tätigen Teilnahme den Gottesdienst eher verarmt als bereichert. Oft werde - so Ratzinger - die tätige Teilnahme als „gleichmäßige Aktivität aller Anwesenden in der Liturgie“ verstanden, die keinen Raum mehr lässt für eine Musik, die höhere künstlerische Ansprüche stellt, von einem Chor oder einer Schola gesungen wird und den Einsatz von klassischen Musikinstrumenten umfasst.

Prägend für eine Theologie der Kirchenmusik nach Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. ist ferner die Forderung nach der Einfachheit bzw. Schlichtheit der Liturgie an sich und somit auch ihrer Musik. Dazu führt er aus: „Die Liturgie ist für alle da. Sie muss ‚katholisch‘, d.h. kommunikabel für alle Glaubenden ohne Unterschied des Ortes, der Herkunft, der Bildung sein. Sie muss daher ‚einfach‘ sein. Aber das Einfache ist nicht das Billige. Es gibt die Einfachheit des Banalen, und es gibt die Einfachheit, die Ausdruck der Reife ist. In der Kirche kann es nur um diese zweite, die wahre Einfachheit gehen“.

Was als Gegensatz zur Forderung der Pflege traditioneller Kirchenmusik verstanden werden kann - man denke nur an die ausgedehnten polyphonen Messkompositionen Palestrinas oder die orchesterbegleiteten, prunkvollen Ordinarien der Barockzeit - ist im Grunde eine wohlüberlegte Dichotomie: Auf der einen Seite kann nur das Schöne, das Festliche dem Menschen jenes Über-sich-Hinausgehen gewähren, welches in der Liturgie den Menschen vom Alltag - im besten Sinn des Wortes - entrückt und „das Staunen angesichts des Mysteriums Gottes lebendig halten, die Einheit des Glaubens verdeutlichen und die Frömmigkeit stärken“, andererseits darf der Glanz der Feier nicht die ihr innewohnende Reinheit und Klarheit, d.h. ihre Schlichtheit überdecken. Schlichtheit in diesem Sinne ist der Gegenpol zu jenem „puritanischen Funktionalismus einer rein pragmatisch gefassten Liturgie“, den Joseph Ratzinger/Benedikt XVI.  als tiefes theologisches Problem der Kirchenmusik nach dem II. Vatikanischen Konzil ausweist.

Kirchenmusik ist ihrem Wesen nach liturgischer und musikalischer Akt zugleich. Deshalb ist der Kirchenmusiker kein Musiker, dessen Arbeitsstelle zufälligerweise die Kirche ist, sondern es muss eine „innere Beziehung zum eigentümlichen Wesen der liturgischen Handlung“ gegeben sein. Es ist gerade diese Betonung einer zweifachen Berufung des Kirchenmusikers, die die Überlegungen Joseph Ratzingers/Benedikts XVI. zur Musica sacra und zum Artifex musicae kennzeichnen: Berufung zum Dienst an der Liturgie durch die Berufung zum Dienst an der Kunst.

Lieber Heiliger Vater,

danke für dein Zeugnis und deine Liebe zur Musik.

Die Chöre der Engel mögen Dich nun empfangen

und das Lied deines Lebens soll Dir schon entgegenklingen.

Ruhe in Frieden.

Zum Cäcilientag 2022:
"Sursum corda" - Empor das Herz!
Am Christkönigssonntag ehren die Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusiker, die Chöre und Kantoren, die Organisten, Psalmisten und Vorsänger, die Chorleiterinnen und Chorleiter und die Scholisten im sogenannten "Cäcilienamt" ihre Schutzpatronin.
Deshalb ist es heute angebracht allen zu danken, die in irgendeiner Weise den Gottesdienst musikalisch bereichern. Dazu zählt auch die versammelte Gottesdienstgemeinde, die im Gemeindegesang in einzigartiger Weise die Communio der Kirche darstellt.
Aus der Vielfalt der musikalischen Dienste lebt der Gottesdienst.
Ich habe das Glück und die Freude mit vielen anderen lieben Menschen in der Herzmitte der Kirche - in der Liturgie - ein Apostolat ausüben zu können. Nahezu 100 Personen musizieren in unterschiedlichen Formationen, Ämtern und Funktionen in unserer Pfarreiengemeinschaft!
Ein Gedanke Papst Benedikts XVI. ist mir persönlich immer eine Maxime gewesen:
"Es geht nicht darum, den wertvollen Schatz der Kirchenmusik zu konservieren, sondern um das Bemühen, in das Erbe der Vergangenheit das wertvolle Neue der Gegenwart einzufügen, um eine Synthese zu erreichen, die der hohen Sendung würdig ist, welche der Musik im Dienste Gottes zukommt“.
Möge es durch unseren Dienst gelingen, dass Menschen durch die Kirchenmusik ein wenig von ihrer Alltagswelt enthoben werden und die Nähe Gottes inmitten dieser Welt erfahren: Sursum corda - Empor das Herz!