Die letzte Konzentration
Eine Anmerkung
zum Liturgieverständnis Joseph Ratzingers/Benedikts XVI.
Fotos: dpa/vatican media
Als am Silvestertag des vergangenen Jahres Papst em. Benedikt XVI. sein Leben in die Hände des Schöpfers zurückgab, wurde schnell bekannt, was seine letzten Worte in dieser Welt waren. Nach einem langen Leben in akademischer Lehre und bischöflicher Hirtensorge, das durchzogen ist von unzähligen Akten der Schriftauslegung und der Abfassung bedeutender theologischer Werke, war es auf dem Sterbebett ein schlichtes Wort: „Signore ti amo“.
Diese Begebenheit ist wie ein Desiderat seines ganzen Lebens. Joseph Ratzinger, der Gelehrte auf dem Stuhl Petri, hatte die Fähigkeit, komplexe theologische Sachverhalte in ihrer ganzen breite und tiefe zu durchdringen, sie aber immer wieder auf einen inneren Wesenskern zurückführen zu können. Entfaltung und Konzentration kann als Leitlinie seines Denkens gelten. Diesen beiden Polen kann auch im Hinblick auf sein Verständnis von Liturgie nachgespürt werden. Die Kritiker sahen in den Zelebrationen Papst Benedikts meist nur die äußere liturgische Prachtentfaltung, das Wiedererscheinen von Brokat und Damast, goldener Ferula und Fanone. Folgende Zeilen des Liturgiewissenschaftlers Albert Gerhards sind beispielgebend:
„Im Lauf des Pontifikats von Papst Benedikt XVI. hatte man sich längst wieder an einen kurialen Stil gewöhnt, der ohne Brokat, Spitzen, Hermelinpelzchen und Schabraken nicht zu denken ist. Schon seit Beginn des langen Pontifikats seines Vorgängers Johannes Paul II. tauchte manches von dem, was in den sechziger und siebziger Jahren verschwunden war, aus der Mottenkiste der Geschichte wieder auf“.
Und der Journalist Daniel Deckers attestiert in seiner Biographie über Papst Franziskus:
„Das leicht Schwüle der Ära Benedikt, in der sich manche an Spitzenrochetts und anderen femininen Accessoires nicht genug ergötzen konnten, ist vorbei“.
Jenseits solch plakativer Beurteilungen, die Papst Benedikt als Anachronisten und geistlichen Restaurator barocker Paramente erscheinen lassen, übersahen die scharfzüngigen Kritiker aber den wesentlichen Punkt der theologischen Konzentration, das synchrone Element, nämlich die Hingabe Joseph Ratzingers/Benedikts XVI. in die Vorgaben liturgischer Rechtsetzungen, wie sie das II. Vatikanische Konzil für die Liturgie der Kirche statuiert hat und die er in Folge des Konzils in Wort und Tat authentisch zu entfalten suchte. Das liturgische Verständnis Joseph Ratzingers/Benedikts XVI. ist unter den Maßgaben der Liturgiekonstitution Sacrosanctum Concilium darauf ausgerichtet, in der Vielgestaltigkeit liturgischen Handelns zu einer Mitte hinzuführen: Zur Begegnung mit dem lebendigen Gott, denn schon „am Anfang des Christseins steht nicht ein ethischer Entschluss oder eine große Idee, sondern die Begegnung mit einem Ereignis, mit einer Person, die unserem Leben einen neuen Horizont und damit seine entscheidende Richtung gibt“ (Deus caritas est, 1). Zahlreiche liturgietheologische Texte aus seiner Feder deuten diesen Kernpunkt aus.
Die äußere „edle Schönheit/nobilis pulchritudo“ (SC 124) entfaltet sinnenfällig die den liturgischen Handlungen innewohnende „edle Einfachheit/nobilis simplicitas“ (SC 34). Beides sind die Brennpunkte der Ellipse, auf deren Umlaufbahn sich liturgisches Agieren vollzieht. Das spannungsvolle Verhältnis von simplicitas und pulchritudo kann nicht zu einer Seite hin aufgelöst werden, sonst gerät die Liturgie aus dem Gleichgewicht. Das Postulat der Einfachheit darf nicht mit Gestaltlosigkeit verwechselt werden und die Schönheit ist nicht Pomp und Tand, sondern Ausfluss „aller Formen wahrer Kunst“ (SC 112). Diese Erkenntnis kommentiert Joseph Ratzinger:
„Die Liturgie ist für alle da. Sie muss ‚katholisch‘, d.h. kommunikabel für alle Glaubenden ohne Unterschied des Ortes, der Herkunft, der Bildung sein. Sie muss daher ‚einfach‘ sein. Aber das Einfache ist nicht das Billige. Es gibt die Einfachheit des Banalen, und es gibt die Einfachheit, die Ausdruck der Reife ist. In der Kirche kann es nur um diese zweite, die wahre Einfachheit gehen. Die höchste Anstrengung des Geistes, die höchste Reinigung, die höchste Reife, bringt die wahre Einfachheit hervor. Die Forderung nach dem Einfachen ist, recht gesehen, mit der Forderung nach dem Reinen und dem Reifen identisch, das es gewiss auf vielen Stufen, aber nie auf dem Weg der seelischen Anspruchslosigkeit geben kann“.
Ein letzter Blick auf die Totenbahre des Papa emerito: Keine Brokatkasel sondern ein schlichtes rotes Messgewand, von ihm getragen beim Weltjugendtag in Sydney, „wer es fassen kann, der fasse es!“ (Mt 19,12).
Zum Tod von Papa em. Benedikt XVI:
Der „Mozart der Theologie“ –
Eine musiktheologische Würdigung Benedikts XVI.
Die christliche Musik des Abendlandes war für Papa emeritus Benedikt XVI. geradezu ein Wahrheitsbeweis des Christentums, ein lebendiger Beweis des Glaubens, der weit über die Kraft von Vernunftargumenten hinausgeht, ein hörbarer Ausdruck „einer weit gewordenen Ratio, in der Vernunft und Herz sich miteinander berühren“.
Papst Benedikts theologische Beschäftigung mit der Kirchenmusik war tief in seinem Verständnis der Liturgie verwurzelt. Aus seinem mannigfachen Nachdenken über Form und Gestalt des Gottesdienstes erwachsen die Kriterien einer Theologie der Kirchenmusik. Schon in einem Aufsatz Zur theologischen Grundlegung der Kirchenmusik aus dem Jahre 1974 attestiert Joseph Ratzinger zwei Folgen des II. Vatikanischen Konzils für die Feier der Liturgie: (1) Der Rückzug ins Brauchbare hat die Liturgie nicht offener, nur ärmer gemacht und (2) die nötige Einfachheit ist durch Verarmung nicht herzustellen. So hat auch die Einführung einer Art Gebrauchsmusik unter dem Diktum der tätigen Teilnahme den Gottesdienst eher verarmt als bereichert. Oft werde - so Ratzinger - die tätige Teilnahme als „gleichmäßige Aktivität aller Anwesenden in der Liturgie“ verstanden, die keinen Raum mehr lässt für eine Musik, die höhere künstlerische Ansprüche stellt, von einem Chor oder einer Schola gesungen wird und den Einsatz von klassischen Musikinstrumenten umfasst.
Prägend für eine Theologie der Kirchenmusik nach Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. ist ferner die Forderung nach der Einfachheit bzw. Schlichtheit der Liturgie an sich und somit auch ihrer Musik. Dazu führt er aus: „Die Liturgie ist für alle da. Sie muss ‚katholisch‘, d.h. kommunikabel für alle Glaubenden ohne Unterschied des Ortes, der Herkunft, der Bildung sein. Sie muss daher ‚einfach‘ sein. Aber das Einfache ist nicht das Billige. Es gibt die Einfachheit des Banalen, und es gibt die Einfachheit, die Ausdruck der Reife ist. In der Kirche kann es nur um diese zweite, die wahre Einfachheit gehen“.
Was als Gegensatz zur Forderung der Pflege traditioneller Kirchenmusik verstanden werden kann - man denke nur an die ausgedehnten polyphonen Messkompositionen Palestrinas oder die orchesterbegleiteten, prunkvollen Ordinarien der Barockzeit - ist im Grunde eine wohlüberlegte Dichotomie: Auf der einen Seite kann nur das Schöne, das Festliche dem Menschen jenes Über-sich-Hinausgehen gewähren, welches in der Liturgie den Menschen vom Alltag - im besten Sinn des Wortes - entrückt und „das Staunen angesichts des Mysteriums Gottes lebendig halten, die Einheit des Glaubens verdeutlichen und die Frömmigkeit stärken“, andererseits darf der Glanz der Feier nicht die ihr innewohnende Reinheit und Klarheit, d.h. ihre Schlichtheit überdecken. Schlichtheit in diesem Sinne ist der Gegenpol zu jenem „puritanischen Funktionalismus einer rein pragmatisch gefassten Liturgie“, den Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. als tiefes theologisches Problem der Kirchenmusik nach dem II. Vatikanischen Konzil ausweist.
Kirchenmusik ist ihrem Wesen nach liturgischer und musikalischer Akt zugleich. Deshalb ist der Kirchenmusiker kein Musiker, dessen Arbeitsstelle zufälligerweise die Kirche ist, sondern es muss eine „innere Beziehung zum eigentümlichen Wesen der liturgischen Handlung“ gegeben sein. Es ist gerade diese Betonung einer zweifachen Berufung des Kirchenmusikers, die die Überlegungen Joseph Ratzingers/Benedikts XVI. zur Musica sacra und zum Artifex musicae kennzeichnen: Berufung zum Dienst an der Liturgie durch die Berufung zum Dienst an der Kunst.
Lieber Heiliger Vater,
danke für dein Zeugnis und deine Liebe zur Musik.
Die Chöre der Engel mögen Dich nun empfangen
und das Lied deines Lebens soll Dir schon entgegenklingen.
Ruhe in Frieden.